Der Regenwald ist die Apotheke der Indigenas. Denn die Medizinmänner der Indianer kennen die Heilkräfte der einzelnen Pflanzen.
Die Pflanzen wachsen im Regenwald in einer schier unvorstellbaren Vielfalt. An keinem Ort der Welt gedeihen so viele unterschiedliche Arten wie im Amazonasgebiet. Ihre Zahl wird auf 170.000 geschätzt. Ein großer Teil unserer Medikamente geht auf Pflanzen zurück.
Durch das Blätterdach der hohen Bäume dringt nur etwa 1 % des Sonnenlichtes bis zum Boden. Deshalb wachsen viele Pflanzen auf den Stämmen und Ästen der Bäume. Denn nur dort kommen sie dem Licht näher. Wissenschaftler haben auf einem einzigen Baum 72 Pflanzenarten gezählt. In Deutschland wachsen dagegen so viele unterschiedliche Arten allenfalls auf einem ganzen Hektar. Die Pflanzen haben weltweit das Interesse der Pharma-Industrie geweckt. Sie versprechen sich neue Arznei aus dem Regenwald.
Denn möglicherweise verbergen sich im Regenwald Mittel gegen heutige Krankheiten wie Aids, Krebs oder Herzkrankheiten. Bisher haben Forscher erst sehr wenige Pflanzen auf medizinisch nützliche Wirkstoffe hin untersucht.
Versprechungen nicht gehalten
Ethnobotaniker wollen im Amazonas die Heilkräfte der Regenwald-Pflanzen nun systematisch studieren, um sie der modernen Medizin zugänglich zu machen. Die Forscher hoffen, nützliche Wirkstoffe zu finden.
Die Schamanen haben dieses Wissen. Seit langem kennen sie Mittel gegen Fieber, Schlangengifte oder den Biss der Tarantel. Dazu nutzen die Indianer die Heilkräfte der Natur. Doch sie sind skeptisch geworden gegenüber den Weißen. Denn die haben ihre Gutgläubigkeit zu oft ausgenutzt, ihnen Versprechungen gegeben, die sie nicht gehalten haben.
Der Niederländer Marc van Roosmalen ist einer der wenigen Weißen, die das Vertrauen der Schamanen haben. Besonders hat er sich mit Tacuma, einem der letzten weisen Medizinmänner des Amazonasgebietes, angefreundet.
Tacuma gehört zu den Kamayurá, einem der wenigen Stämme, die ihr Wissen um die Heilkräfte der Natur bis heute bewahrt haben. Gemeinsam wollen sie nun die Heilpflanzen erfassen. Tacuma, der im ganzen Xingú-Gebiet geachtet wird, möchte sein Wissen um die Pflanzen weiter geben, allerdings, an erster Stelle seinem Sohn.
Chris Kilham ist Ethnobotaniker an der University of Massachusetts. Er beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen. Im Amazonas Regenwald findet er Pflanzen mit immensen Heilkräften.
Misstrauen gegenüber westlichen Forschern
Doch nicht nur die Indianer sind misstrauisch geworden gegenüber den weißen Forschern. Auch die brasilianische Regierung sieht die ausländischen Ethnobotaniker mit Skepsis. Die Behörden fürchten, das Wissen um die Pflanzen könnte im Ausland bleiben. Dort würden dann erfolgreich Medikamente produziert und Pharmakonzerne hätten den Profit. Brasilien ginge dagegen leer aus. Das Land will aber nicht erneut als armer Rohstofflieferant dienen.
Die genetischen und biologischen Ressourcen des Landes sind mittlerweile durch Gesetz geschützt. Zwar ist Forschung erlaubt, aber die Erkenntnisse dürfen nicht ohne Bewilligung durch die Behörden bzw. Vertreter der Indianer genutzt werden. Deshalb schließen die Ethnobotaniker heute mit den Indianern Verträge. Sollte durch das Wissen der Indianer ein Wirkstoff gefunden werden, gehen die Indianer nicht leer aus. Sie würden an dem wirtschaftlichen Erfolg Anteil haben. Roosmalen arbeitet allerdings nicht für einen Pharmamulti. Sein Projekt wird von einer niederländischen Nicht-Regierungsorganisation finanziert.
Geschäfte mit Heilkräutern
Gibt es bereits Urwaldkräuter, aus denen moderne Medikamente gewonnen werden konnten? Jaborandí ist eine solche Pflanze aus Brasilien, aus der Augentropfen gegen Glaukom hergestellt werden, also eine Arznei aus dem Regenwald. Der Wirkstoff heißt Pilocarpin. Er wird aus den Blättern des Jaborandí gewonnen.
Die Regierung hat den Export der Jaborandí-Blätter verboten. Seitdem werden die Augentropfen jetzt in Brasilien selbst hergestellt und der Gewinn kommt dem Land zu gute.
Früher war das anders: In den fünfziger Jahren entwickelte die US-amerikanische Firma Eli Lilly die Präparate Vinblastin und Vincristin aus einem tropischen Immergrün. Diese Mittel wurden zum Standard gegen Hodenkrebs bzw. Kinderleukämie. Dadurch machte die Firma hunderte Millionen Dollar Gewinn.
Pro Jahr werden insgesamt auf der Welt Medikamente für 320 Milliarden Dollar verkauft. Über 30 % dieser Arzneien sind aus pflanzlichen Wirkstoffen hergestellt. Doch bislang haben Wissenschaftler nicht mehr als 1 % aller Pflanzen-Spezies auf ihren Gehalt an medizinisch nutzbaren Wirkstoffen untersucht. In Zukunft könnte es deshalb noch viel mehr wirksame Arznei aus dem Regenwald geben.
Arznei aus dem Regenwald für Tiere
Auf dem Markt in Manaus kümmern sich die „Kräuterweiber“ nicht um die wissenschaftlichen Erforschungen der Heilpflanzen. Dennoch sind ihre Verkaufsstände ein kleiner Basar unterschiedlichster Heilmittel. Vor langer Zeit hervorgegangen aus einer Mischung des indianischen Wissens mit afrikanischen wie europäischen Überlieferungen.
Da gibt es im Angebot die Wurzel Marapuana, die als Aphrodisiakum wirken soll. Zudem ein Stück Baumrinde, Escada de Jabutí, das gegen Hämorhoiden hilft. Indianer und Bauern kommen früh morgens, bevor das Treiben auf dem Markt beginnt, in ihren kleinen Booten über den Fluss, beladen mit Pflanzen, Wurzeln und Rinden. Zum Beispiel das Holz des Saratodo. Damit sollen Wunden heilen. Oder Crujirú, das Infektionen stillt. Und uxi-Amarelo hilft bei Beschwerden in den Wechseljahren.
Der Regenwald wird von den Wissenschaftlern mittlerweile auch als eine große Apotheke gesehen, deren Fächer, Schächtelchen und Flaschen noch nicht geöffnet sind. Deshalb haben einige Wissenschaftler hohe Erwartungen. Die Arznei aus dem Regenwald soll entscheidende Krankheiten heilen helfen. Denn in ihren Augen stellt der Regenwald ein riesiges Areal mit unerforschten Heilkräften dar. Eine Apotheke, in der sich übrigens die Tiere bedienen, um sich zu schützen.
Quellen:
- ARD-Sendung „Inventur im Regenwald“ (April 2002)
- „Der Urwald heilt“, Walter Tauber in MERIAN „Brasilien“ (2002)
- „Die Magie des VER-O-PESO“, Klaus Geissler in GEO-Spezial „Amazonien“ (1994)
Hallo, bin immer wieder erstaunt, welche Schätze uns in der Natur zur Verfügung stehen. Meine Bewunderung gilt den Menschen, die verantwortungsvoll und voller Achtung mit diesen Wissen umgehen.
Leider versucht man von diesen Gottesgeschenk daraus Profit zu schlagen. Warum erkennt der Mensch nicht, dass für alles „kostenlos“ ein Kraut gewachsen ist, welches den Mensch bis zu einen vorgesehenen Alter für seine Gesundheit zur Verfügung steht?
Natürlich hat es einen Preis, wenn man die Pflanzen für den Verbrauch weiter verarbeitet. Dann soll das Geld und die Behutsamkeit der Verarbeitung auch den Menschen zugute kommen, die ehrenhaft mit ihren Schätzen umgehen und uns mit zur Verfügung stellen. Gier fällt einen immer auf die eigenen Füße, auch wenn es nicht sofort erkennbar ist.
Für Ihre Aufklärung und den wunderbaren Bericht möchte ich mich herzlich bedanken. Gern würde ich mehr darüber erfahren und mein Wissen in Buchform erweitern.
Herzliche Grüße
Helga Miserre‘