Mit fünf Jahren wird Marina von Entführern im kolumbianischen Dschungel ausgesetzt. Dort bleibt sie ganz allein in tiefster Wildnis. Doch Kapuzineraffen nehmen das Kind in ihre Horde auf. Fünf Jahre verbringt sie mit den Affen. Nur eine Fiktion? Die Erinnerung an eine unglaubliche Kindheit oder doch ein fehlgeleitetes Gedächtnis?
Das Mädchen durchwacht eine finstere Nacht voller merkwürdiger, Angst einflößender Urwald-Geräusche. Um sie herum ein schreckliches Gewirr aus Bäumen, Schlingpflanzen, knorrigen Ästen und behaarten Blättern. Sie rollt sich zusammen und mag sich nicht bewegen, um kein Raubtier der Nacht auf sich aufmerksam zu machen. Als sie erwacht, merkt sie, dass sie nicht mehr allein ist, sie ist umzingelt. Eine große Horde Kapuzineraffen sitzen um sie herum und beobachten jede ihrer Bewegungen. Sie weiß, dass sie den wilden Tieren nicht trauen kann. Dennoch fühlt sie sich von ihnen angezogen. Denn sie sehen aus wie eine große Familie.
Dann wird ein dramatisches Ereignis zum Wendepunkt. Danach wird sie von den Affen wie ein Familienmitglied aufgenommen. Sie erlebt entscheidende Jahre ihrer Kindheit mit den Affen im Dschungel. Ihnen äfft sie alles nach, nur so lernt sie in der Wildnis zu überleben. „Und ganz langsam und allmählich ließ mein Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit nach“, erinnert sie sich in ihrem Buch. „Zu einer kleinen Kugel in meinem hohlen Baumstamm zusammengerollt, die tröstlichen, vertrauten Laute der Affen über mir, verwandelte ich mich langsam in eine von ihnen.“
Sich mit den Affen lausen, spielen, auf Tropenbäume klettern
Für sie existierte nur noch die Affensprache. „Ich glaube, ich habe nicht einmal mehr in menschlichen Worten gedacht.“ Dadurch lernt sie sich im Dschungel so zu verhalten wie die Affen. Und schließlich nach langen frustrierenden Lernversuchen gelingt es ihr, hoch in die Wipfel der Regenwaldbäume zu klettern zu den Affen. Die nämlich genießen dort oben in Höhen von 30 Metern oder mehr die frische Luft und den blauen Himmel. Doch ihre Versuche wie die Affen von Ast zu Ast zu springen scheitern, beinahe tödlich.
Inmitten ihrer Affen-Familie bewegt sie sich wie diese und fast nur noch auf allen vieren. Dabei empfand sie die Affen-Familie als sehr einfühlsam. Denn bei den Affen schienen Emotionen in sämtlichen Abstufungen zu existieren: Demut und Stolz, Unterwürfigkeit und Beschützer-Instinkt, Eifersucht und Jubel, Zorn und Glück. Die Affen waren soziale Wesen und lebten in einem hierarchischen Beziehungsgeflecht. Ihr wird zunehmend die Vielfalt der Affensprache bewusst. Schließlich lernt sie die ganze Bandbreite zu unterscheiden, von den schrillen Warnrufen über den Ausdruck von Ärger und Freude bis hin zu den sanft flötenden Lauter ihrer ganz alltäglichen Unterhaltungen. Die meiste Zeit verbrachten die Affen gemeinsam, lausten sich, spielten miteinander oder kommunizierten auf irgendeine Weise.
Der erste Kontakt mit Menschen traumatisiert das Kind
Eine seltsame Entdeckung aber macht ihr schlagartig bewusst, dass sie kein Affe ist, sondern einer anderen Spezies angehört. Sie durchlebt Identitätswirrnisse. Die Begegnung mit brutalen Tierfängern hinterlässt ein Trauma. Denn die Wilderer machen auch Jagd auf Affen. „Ich werde die Bilder der Affenbabys, die gewaltsam ihren brüllenden Müttern entrissen wurden, bis an mein Lebensende nicht vergessen“. Der Anblick war für sie genauso entsetzlich, als hätte man einer Menschen-Mutter ihr Kind geraubt. Sie muss mehrfach mit ansehen, wie sich eine verwaiste Affenmutter einfach hinlegte und vor Kummer starb. Es sind die vielen Geschichten, die sie mit den Affen erlebt, die einen als Leser sehr mitfühlend werden lassen.
Das Buch vermittelt intensive, ja intime Einblicke in das Dschungelleben der Tiere und der Pflanzen. Mit der Erzählung taucht man ein in die Tiefen des Regenwalds. Und die auf eine Weise, wie es ein wissenschaftlicher Bericht nur selten vermag.
Doch dann, nach etwa fünf Jahren, entdecken Wilderer das Dschungel-Mädchen und verkaufen es an ein Bordell. Doch es gelingt ihr, den schrecklichen Verhältnissen dort zu entfliehen. Nach einer langen Odyssee findet sie schließlich Freunde, die ihr ein normales Leben in der Menschenwelt ermöglichen.
Erfunden oder wahr?
Marina Chapman hat einen weiten Weg hinter sich: aus dem abgelegenen Regenwald Kolumbien bis nach Bradford in Großbritannien. Heute ist sie mit einem Briten verheiratet, Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und arbeitet in einem städtischen Kindergarten. Dazwischen war sie die Anführerin einer Bande kolumbianischer Straßenkinder. Dann arbeitete sie in einem Bordell und als Hausmädchen einer gewalttätigen, kriminellen Familie in einer der gefährlichsten Städte Kolumbiens.
Indes ertappt man sich immer wieder dabei, an der Geschichte zu zweifeln. Dieses Mädchen soll einen Teil ihrer Kindheit inmitten eines Affenclans im tiefen Urwald verbracht haben? Die Skepsis hat auch andere umgetrieben. Mehrere Verleger lehnten das Buch ab, weil sie die Geschichte für unglaubwürdig hielten.
National Geographic versucht Licht in die Erinnerungen zu bringen.
Auch der britische Guardian ging der Geschichte nach und interviewte Marina Chapman. Haben die Journalisten des Guardian das Rätsel gelöst? Erzählt Marina Chapman die Wahrheit oder haben ihre Erinnerungen die Geschichte erfunden in Folge einer traumatischen Kindheit?
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