Coronavirus: Todesurteil für Ureinwohner?

Ausbreitung des Virus im Amazonas befürchtet

Das Coronavirus ist in Südamerika angekommen. Damit ist das Leben Hunderttausender Amazonas Indigener bedroht. Denn Indigene sind gegen Infektionen besonders anfällig. Sie fordern jetzt den Schutz ihrer Gebiete.

Christliche Missionare dürfen durch ihre missionarische Tätigkeit nicht länger indigene Menschen in Gefahr bringen. Spiegel Online berichtet, dass ein brasilianisches Gericht das Verbot der Missionierung mit der besonderen Gefahr des Coronavirus über Ureinwohner begründet hat.

Anlass war das Vorhaben der evangelischen US-Gruppe 360. Die christliche Organisation hatte bereits Geld für einen Hubschrauber gesammelt, um isoliert lebende Ureinwohner im brasilianischen Amazonas Urwald von ihren traditionellen Glaubensvorstellungen abzubringen und sie statt dessen von christlichen Vorstellungen zu überzeugen.

Bleibt die Frage, ob sich christliche Extremisten von dem Urteil eines brasilianischen Richters abschrecken lassen. Laut dem Bericht in Spiegel Online droht bei Verstoß gegen das Gerichtsurteil eine Geldstrafe von umgerechnet 175 Euro pro Tag.

Seit Europäer im 16. Jahrhundert Südamerika eroberten und die Ureinwohner kolonialisierten und missionierten starben über 90 Prozent der indigenen Menschen, in den meisten Fällen an Infektionskrankheiten.

Denn die Ureinwohner Südamerikas kannten viele Infektionskrankheiten nicht bis zur Ankunft der Europäer. Durch den Kontakt zu den Europäern und Afrikanern erkrankten viele Amazonas Indigene, damals Indianer genannt, an Pocken, Masern, Tuberkulose, Keuchhusten oder anderen Krankheiten.

Die Dramatik der Infektionen machen folgende Zahlen deutlich: Als die ersten Europäer 1492 in Amerika vor Anker gingen, lebten dort rund 50 Millionen Indigene. Bereits 150 Jahre später hatten die von Europäern mitgebrachten Krankheiten die meisten der Ureinwohner sterben lassen. Noch 2016 brachte die Schweinegrippe Hunderten der Ureinwohner den Tod.

Coronavirus für isolierte Völker sicheres Todesurteil

Jetzt fürchten besonders die Ureinwohner Brasiliens, dass Holzfäller, Goldgräber oder andere weiße Eindringlinge das Coronavirus in ihre Schutzgebiete bringen. Sie fordern die brasilianischen Behörden auf, ihre Schutzgebiete besser abzuschirmen.

James Longman berichtet aus dem brasilianischen Regenwald, wo COVID-19 sich unter der indigenen Bevölkerung ausbreitet. Doch dort haben die Menschen meist keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.

Der brasilianische Arzt Lucas Albertoni, der für den brasilianischen Gesundheitsdienst Sesai indigene Völker betreut hat, fürchtet das Schlimmste für die noch isoliert lebenden Völker. „Das Risiko, dem die isolierten Völker ausgesetzt sind, ist noch einmal viel größer als das aller anderen indigenen Völker“, so zitiert Domradio den Arzt. Der Mediziner nahm selbst für die brasilianische Indianerbehörde FUNAI an mehreren Expeditionen zu versprengt lebenden Gruppen des Korubo-Volkes teil. Dabei musste auf strengste Hygiene und Abstand zu den Indigenen geachtet werden, um Infektionen zu vermeiden.

Viruserkrankungen der größte Killer

Denn die Ureinwohner des Regenwalds haben keine Antikörper zum Beispiel gegen Röteln oder Masern. Solche Krankheiten sind für sie unmittelbar lebensbedrohlich. Wie groß das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus für die Indigenen des Regenwalds ist, erforschen jetzt brasilianische Wissenschaftler. Sie vermuten, dass COVID-19 gerade isoliert lebende Indianer dahin raffen würde.

Sydney Possuelo gilt als einer der größten Experten für die Ureinwohner des Amazonasgebiets. In einem Spiegel-Online Interview drückt er größte Besorgnis für das Leben der Indigenen durch das Coronavirus aus. Seit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents seien Viruserkrankungen der größte Killer für die Amazonas Ureinwohner. Indigene Völker, seien extrem anfällig für alle Arten von Infektionen. „Jede ansteckende Krankheit ist extrem gefährlich für sie“, so Possuelo.

Systematische Politik der Ausrottung

Indigene, die hin und wieder auch in die Orte der weißen Bevölkerung kommen, seien dem stärksten Risiko einer Ansteckung durch COVID-19 ausgesetzt. „Wir reden hier über schätzungsweise 600.000 bis 700.000 Menschen, deren Immunsystem so schwach ist, dass die Krankheit vermutlich selten einen glimpflichen Verlauf nimmt“, erklärt Possuelo in dem Spiegel-Interview. Noch verheerender wäre es, wenn sich isolierte Völker ansteckten.

Possuelo, der in den 90iger Jahren die brasilianische Indigenenschutz-Behörde Funai leitete, wird in dem Interview sehr deutlich, als er über den Präsidenten Brasiliens spricht. Seit der Gründung der Republik habe es für die indigenen Völker keinen so schwierigen Moment gegeben wie heute. „Früher gab es punktuelle Probleme, heute aber betreibt die Regierung eine systematische Politik der Ausrottung.“ Die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro habe den gesamten institutionellen und gesetzlichen Rahmen der Indianer-Schutzpolitik demontiert.

Goldgräber dringen wieder in Schutzgebiete vor

Die neue Politik der Regierung führt dazu, dass Goldgräber illegal in die Schutzgebiete der Ureinwohner eindringen. Besonders das Reservat der Yanomami an der Grenze Brasiliens zu Venezuela ist zum Anziehungspunkt für Goldgräber geworden.

Die Reporter Fanny Lothaire und Laura Damase recherchierten illegale Aktivitäten der Goldsucher im brasilianischen Bundesstaat Roraima. Dort trafen sie sich mit den Yanomami, die den Regenwald gegen die Eindringlinge verteidigen. Doch der brasilianische Präsident Jair Bolsonario steht auf Seiten der Goldsucher.

Albertoni fordert von der brasilianischen Regierung, dafür zu sorgen, dass niemand die Schutzgebiete der Ureinwohner betritt. Doch der brasilianische Präsident Bolsonaro scheint weit davon entfernt. Im Gegenteil: Er fördert die Goldgräber dabei, die Vorkommen in indigenen Gebieten auszubeuten. Auf keinen Fall will der die Schutzgebiete der Indianer weiter ausdehnen.

Indigene Völker isolieren sich im Dschungel

Mehrere indigene Völker Brasiliens haben angekündigt, sich zum Schutz vor der Corona-Epidemie tief in den Wald in die freiwillige Isolation zurückzuziehen. Wie viele indigene Völker des Landes hätten nun auch die Ashaninka im Westen Brasiliens diesen Schritt beschlossen.

„Wir werden uns für eine Weile zurückziehen und keinen Zutritt von außen zulassen. Ich weiß, dass es nicht einfach zu kontrollieren sein wird, aber diese Maßnahme soll unsere Gemeinschaft schützen“, berichtet Francisco Piyãko einer ihrer Anführer der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

„Da sie von staatlicher Seite keinen Schutz vor der kommenden Infektionswelle zu erwarten haben, helfen sie sich selbst“, erklärt Yvonne Bangert-Referentin für indigene Völker. „Auch die Gruppen, die sich nicht komplett isolieren, bleiben möglichst unter sich“, so die Referentin.

Social Distancing widerstrebt der Kultur der Indigenen

Während in den modernen Gesellschaften mit ihren vereinzelten Wohnformen Menschen durch das Social Distancing Vereinsamung erleben, erzeugt dies bei den Indígenas noch viel stärkere Einschnitte. „Die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen bringen die Grundfesten und Kernbestandteile der traditionellen Kulturen der Indígenas ins Wanken“, sagt Dr. Frank Semper, Fachbuchautor. Insbesondere die Ureinwohner im Amazonas-Gebiet müssten sich jetzt noch weiter isolieren.

Hinzu komme, dass illegale Waldrodungen, Minen-Tätigkeit oder die Kokain-Produktion rücksichtslos vorangetrieben würden. Denn aufgrund der Corona Situation seien die staatlichen Stellen nicht voll funktionstüchtig. Hier etabliere sich ein Teufelskreis aus gezieltem Landraub und einem dadurch ausgelösten weiteren Zurückweichen der Indigenen von Ihrem Land, um der Virus-Übertragung durch die kriminellen Eindringlinge zu entkommen.

Das Virus bedroht die alle Fluss-Bewohner

Doch in den abgelegenen Orten an den Flüssen im Amazonasbecken stellt das Coronavirus auch eine große Gefahr für die weiße Bevölkerung dar. Denn die medizinische Versorgung kommt dort schnell an ihre Grenzen.

Bislang war für die Bewohner der abgelegenen Amazonasregion im Osten Brasiliens das neuartige Coronavirus nur etwas, das sie aus den Medien kannten. Doch jetzt hat die Angst vor der Pandemie auch sie erreicht © AFP

Quellen:

Über Bernd Kulow 168 Artikel
Als Journalist gestalte ich diese Webseite. Seit 2 Jahren bin ich freischaffender Filmemacher unter dem Namen MANGO-Film. Gearbeitet habe ich für dpa, DIE ZEIT, stern, Frankfurter Rundschau, Hörfunk und Fernsehen. Der Regenwald hat mich von klein auf fasziniert. Mehrfach war ich in Mittel- und Südamerika unterwegs. Dabei hat mich vor allem der Amazonas Dschungel beeindruckt.

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