Reise zu den Ticuna-Indianern

Weiße Besucher unerwünscht

Auf eigene Faust begibt sich Lutz Herbert zu den Ticuna-Indianern im abgelegenen Dschungel. Im Territorium der Ticuna sind Weiße nicht gern gesehen. Es kommt zu einem Konflikt. Werden die Indianer auf den Autor schießen?

Lutz Herbert will keine wissenschaftliche Arbeit verfassen, sich auch nicht als Survival-Experte ausweisen, schon gar nicht als Abenteurer bekannt werden. „Ich will erzählen, was ich sehe und erlebe.“ Das ist sein einfaches Credo. Doch am Ende seiner Reise zu den Ticuna-Indios plagen ihn Zweifel, ob sein Vorhaben wirklich im Sinne der Ticuna gut zu heißen sei.



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Der Autor nimmt uns mit auf eine Fahrt von Manaus den Amazonasstrom hinauf bis in die Nähe der kolumbianischen Grenze. Er hat die „Veleiro del Amazonia“, ein nicht gerade Vertrauen erweckenden Amazonaskahn, samt Besatzung gemietet. Jeder, der so ein Vorhaben plant, braucht einen verlässlichen Führer, einen sprachkundigen Begleiter. Herbert findet diesen Begleiter in Fábio, einem weißen Brasilianer, der auf seine Weise Geschäfte mit Touristen macht, nachdem er seine Tätigkeiten als Bankkassierer, Autoverkäufer oder Kleinunternehmer aufgegeben hat. Herbert empfindet es als Glücksfall, diesen Begleiter gefunden zu haben.

Doch obwohl Fábio bereits bei den Ticuna war und den entscheidenden Repräsentanten der Indios kennt, fällt es ihm schwer, vorauszusagen, ob sie sich freundlich verhalten werden. „Wir können uns keine Fehler erlauben!“, sagt er. Der Autor kämpft mit seiner Nervosität. Werden die Indios seine freundschaftlichen Gefühle erwidern?

Fußballturnier der Ticuna

Auf der langen Fahrt den Amazonas hinauf lernt Herbert von Fábio unter den erschwerten Bedingungen klar zu kommen und erlebt Fauna und Flora des Regenwaldes vom Fluss aus. Er lernt etwa wie man Alligatoren und Kaimane unterscheiden kann: an den Lippen. Alligatoren haben nämlich keine Lippen, deshalb sieht man ihre fürchterlichen Reißzähne auch bei geschlossenem Maul. In der Nacht sind die leuchtenden Augen der Reptilien am Ufer auszumachen.

Als sie ins Territorium der Ticuna kommen, winken am Ufer einige Indios und wollen mitfahren. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine Fußballmannschaft aus einem abgelegenen Dorf handelt, die zu einem Wettkampf nach Vedaval wollen. Das Fußballturnier ist ein großes Ereignis, aus allen Dörfern kommen die Mannschaften nach Vedaval, der 2.100 Einwohner-Hauptstadt der Ticuna. Die Indios sind in T-Shirts und Hosen gekleidet, entsprechen äußerlich nicht dem Bild, wie man sich als Europäer die Ureinwohner gern vorstellt. Die Indio-Fußballmannschaft auf dem Boot allerdings bleibt unter sich. Ein näherer Kontakt lässt sich nicht herstellen. Die Ticuna sind misstrauisch.

Bevor sie in Vedaval an Land gehen dürfen, muss der Kazike, der Ortsrepräsentant, gefragt werden. Der ist ein weit gereister Mann, hat Ausstellungen über die Ticuna organisiert und war sogar schon in Deutschland. Sie werden in Vedaval willkommen geheißen, sollen sich aber nicht aus dem Ort entfernen.

Ticuna: Keinen Kontakt oder Dialog?

Wo sie sich im Ort bewegen, werden Fenster und Türen zu geschlagen, verfolgt man sie mit Blicken aus Spalten und Ritzen. Kinder beginnen zu weinen, wenn sie die Weißen sehen. Dabei hat Vedaval einen Stromgenerator und sogar Straßenbeleuchtung. In Benjamin Constant unterhalten die Ticuna ein Museum, wo sie ihre Kultur darstellen.

Bei den Indios herrschen unterschiedliche Ansichten über den Kontakt zu Weißen. Die einen wollen jeglichen Kontakt vermeiden, notfalls mit Gewalt, um ihre Kultur vor den Weißen zu schützen. Andere meinen, nur der Dialog mit den Weißen könne die Ticuna vor dem Untergang bewahren.

In jedem Ticuna-Dorf, das sie besuchen wollen, muss zunächst der Kazike die Erlaubnis erteilen, bevor sie das Dorf betreten dürfen. Im Grunde sind Besucher unerwünscht. In Nova Esperanca verweigert ihnen das Dorf den Besuch, will sie aber auch nicht wieder ziehen lassen. Sie müssen erläutern, warum sie sich im Territorium der Ticuna aufhalten. Die Ticuna sehen nicht, was sie davon haben sollten, wenn ein Deutscher ein Buch über sie schreibt und vermuten, dass ihre Lebensweise falsch dargestellt werden würde.

Aufgeregter Krieger mit Pfeil und Bogen

Das Buch steuert auf einen dramatischen Höhepunkt zu. Ein aufgeregter Krieger zielt mit Pfeil und Bogen auf die weißen Eindringlinge. Er will die Weißen im Dorf nicht dulden. Wie ernst meint er es? Wird er schießen?

Am Schluss ist sich der Autor nicht mehr im Klaren, ob seine Reise angebracht war. Es ist nicht möglich ins Gebiet der Indios zu fahren, „ohne Spuren zu hinterlassen“, schreibt er. Doch er weiss auch, dass die Indios die Öffentlichkeit brauchen, eine aufmerksame Weltöffentlichkeit, die dafür sorgt, dass die Gesetze und Verträge zum Schutz der Indianer eingehalten werden. Das setzt voraus, dass die Öffentlichkeit über den Kampf der Indios informiert wird und dass die Indios wissen, wie sie diese Öffentlichkeit unterrichten können.

Ein Buch, in dem nichts beschönigt wird und der Autor seinem Credo treu bleibt, zu erzählen, was er sieht und erlebt. So erfährt man von dem allgemeinen Alkoholkonsum unter den Indiomännern genauso wie von ihrem besonders herzlichen Verhalten gegenüber ihren Kindern. Hier wird keine romantisierte Folklore vorgeführt, sondern die Lage der Indios realistisch beschrieben, dabei gelingt es dem Autor die Spannung aufrecht zu erhalten.

Das Buch ist 1999 bei Frederking & Thaler erschienen.

Über Bernd Kulow 168 Artikel
Als Journalist gestalte ich diese Webseite. Seit 2 Jahren bin ich freischaffender Filmemacher unter dem Namen MANGO-Film. Gearbeitet habe ich für dpa, DIE ZEIT, stern, Frankfurter Rundschau, Hörfunk und Fernsehen. Der Regenwald hat mich von klein auf fasziniert. Mehrfach war ich in Mittel- und Südamerika unterwegs. Dabei hat mich vor allem der Amazonas Dschungel beeindruckt.

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