Rätsel der Artenvielfalt

Viele Arten sind bislang nicht bekannt

Artenvielfalt
Copyright: Bernd Kulow

Den Wissenschaftlern ist nur ein Bruchteil der Vielfalt der Lebewesen bekannt. Doch täglich sterben viele Arten aus. Keiner weiß wie viele. Wenn Biologen jedoch eine neue Affenart entdecken, geht die Meldung durch die Weltpresse. Für viele bleibt dann der Eindruck, als gebe es nur noch wenige unentdeckte Tiere und Pflanzen. Doch der Eindruck trügt: Der größte Teil der Artenvielfalt ist noch unbekannt und bleibt möglicherweise für immer ein Geheimnis. Denn die Artenvielfalt verschwindet, bevor Wissenschaftler sie erforscht haben.

Die Regenwälder weisen weltweit die höchste Artendichte auf. Doch noch weiß niemand auch nur annähernd, wie viele Arten es tatsächlich sind, die in den Regenwäldern ihr Zuhause haben. Die Artenvielfalt bleibt weiterhin ein Rätsel.

Den Wissenschaftlern bekannt sind 1,75 Millionen Arten auf der Erde. Davon über 950.000 Insekten, danach folgen die Pflanzen mit 270.000 Arten. Das Schlusslicht bilden die Säugetiere mit 4.630 Arten.

Demgegenüber bleiben die Schätzungen über die noch nicht bekannten Arten sehr vage. Sie reichen von 10 bis zu 200 Millionen Arten. Die Vielfalt der Pflanzen und Tiere ist aber nicht gleichmäßig über die Erde verteilt. In den tropischen Regenwäldern trifft man auf die weitaus größte biologische Vielfalt. Von den 10 Staaten auf der Erde mit der reichsten Tier- und Pflanzenwelt liegen 5 Länder im Amazonasbecken. Dies sind Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Brasilien.

Massensterben durch Waldrodung und Klimaänderung

Mit rasantem Tempo nimmt die Vernichtung biologischer Arten auf der ganzen Erde zu. „Allein mit der Verkleinerung der natürlichen Lebensräume hat der Mensch die natürliche Extinktionsrate um den Faktor 1.000 bis 10.000 erhöht. Wir befinden uns somit zweifelsfrei inmitten eines der größten Massensterben der Erdgeschichte“, urteilt Edward O. Wilson, US-amerikanischer Biologe, auch bekannt als „Vater der Biodiversität“.

Vor allem durch die Zerstörung der Lebensräume verschwinden Tier- und Pflanzenarten von der Erde, die kein Mensch je gesehen hat. Die Abholzung von Urwäldern sind überall die größte Bedrohung der biologischen Vielfalt. Wenn ein gesamtes Habitat verschwindet, gehen fast alle Arten zugrunde. Zwei Faktoren nehmen Fauna und Flora der Erde in die Zange. Zum einen verringert sich die Biodiversität rapide durch Abholzung der Wälder und andere Formen direkter Habitatzerstörung. Zum anderen bedroht der Treibhauseffekt die biologische Vielfalt.

Das Wachsen der Weltbevölkerung mit all seinen Folgen hat die Erde in diese Krise der Biodiversität gestürzt. „Der Mensch hat mittlerweile eine Populationsdichte erreicht, die hundertmal höher ist als die irgendeines anderen Landtieres vergleichbarer Größe“, so Wilson.

Der Manu National Park in Peru birgt wohl die höchste Zahl von Arten in der Welt. Der Fotograf Charlie Hamilton James von National Geographic erzähl von seinem Aufenthalt in einem kleinen Dorf  der Matsigenka. Er präsentiert seine erstaunlichen Fotos von seltenen Tieren und vom Leben der Matsigenka. 

Tropenwälder als hot spots

Allein in den Tropenwäldern vermuten die Experten Millionen von unbekannten Insekten. Bereits der berühmte Naturforscher Henry Bates sammelte bei seinem Aufenthalt in Amazonien unterschiedlichste Tiere. Doch vor allem waren es Insekten. So gelang es dem Forscher in einem Umkreis von einer Stunde Fußweg um seine Forschungsstation 700 Schmetterlinge einzufangen. Aber keine zwei davon gehörten derselben Art an. Es waren 700 verschiedene Schmetterlingsarten.

Heute weiß man, dass es Zentren der Artenvielfalt gibt – auch hot spots genannt. Die Regenwälder stehen dabei an erster Stelle. Mehr als ein Drittel aller bekannten Pflanzenarten gehört zur Flora der tropischen Regenwälder.

Wo liegt der Grund für die Artenvielfalt in den Regenwäldern?

In der Wissenschaft gibt es verschiedene Erklärungsansätze für dieses Phänomen. Allgemein gilt: Je wärmer eine Region, desto größer die Artenvielfalt. Das gleiche trifft auf die Niederschlagsmenge zu. Gebiete mit höheren Niederschlägen weisen eine größere Artenvielfalt auf, als trockene Regionen. Beide Faktoren kommen in den Regenwäldern zusammen.

Forscher schätzen, dass in den tropischen Regenwäldern über 90 % aller terrestrischen Arten beheimatet sind. Und das, obwohl die Regenwälder nur etwa 7 % der Landmasse der Erde einnehmen.

Als wichtigen Grund für die hohe Artenvielfalt verweisen die Biologen auf die Stabilität des Klimas über das ganze Jahr. Eine endgültige Begründung für die Vielfalt im Regenwald scheint indes noch nicht gegeben.

Artenvielfalt bleibt im Regenwald verborgen

Für einen Besucher im Regenwald sieht die Realität allerdings ernüchternd aus:

Wer im Regenwald unterwegs ist, kann von der Artenvielfalt kaum etwas wahrnehmen. Denn es sind vor allem die unzähligen Insektenarten, die für die hohe Vielfalt der Tiere verantwortlich sind. Die aber halten sich vor allem ganz oben in den Baumkronen auf.  Dagegen sind größere Tiere kaum zu erblicken.

Zum einen halten sich die größeren Wirbeltiere meist versteckt. Viele sind ausschließlich nachts aktiv oder bereits in tiefere Waldregionen zurück gedrängt. Zum anderen ist der Artenreichtum der Wirbeltiere im Regenwald nicht so stark ausgeprägt wie man erwarten mag.

Insofern entdecken die Biologen meistens neue Insektenarten. Davon finden sie jedes Jahr Tausende neuer Arten. Dies wird auch in Zukunft so bleiben, folgert Jürgen Wolters. Innerhalb der Wirbeltiere könne man nur noch bei den Fischen mit einer großen Zahl von Neuentdeckungen rechnen.

Enteckungen warten in den Kronen des Regenwalds

Die Erwartungen auf Neuentdeckungen richten sich in erster Linie auf die Wipfelregionen der immergrünen Regenwälder. Dabei waren die Forscher des Smithsonian Institute wohl die ersten, die Aufmerksamkeit erlangten. Denn geradezu berühmt waren ihre riskanten Klettertouren in die obersten Wipfel der Urwaldbäume. Damit sorgten sie für Aufregung unter den Wissenschaftlern. Denn die Forscher dokumentierten eine erstaunlich hohe Vielfalt an bislang völlig unbekannten Insekten und anderen Gliedertieren.

Die Wissenschaft kennt insgesamt nur einen Bruchteil der Vielfalt der Lebensformen auf der Erde. Gerade die Mikroorganismen wie Bakterien, Viren oder Algen und Pilze sind nur sehr unvollständig erforscht. Die Mikroorganismen indes sind extrem wichtig für den Erhalt der gesamten Biodiversität.

Noch bis in die 70er Jahre gingen die Forscher von einer viel geringeren Zahl unentdeckter Lebewesen aus. Seitdem wurden die Prognosen um das 10 bis 20fache erhöht.

Dagegen sind wohl bereits über eine Millionen Arten ausgestorben. Die meisten von ihnen verschwanden für immer, ohne ihr Aussehen, ihr Verhalten oder ihre Funktionen im Naturkreislauf preis zu geben.

Quellen:

  • Jürgen Schultz: Die Ökozonen der Erde, Stuttgart 2002
  • Michael Gleich u.a.: Life Counts. Eine globale Bilanz des Lebens, Berlin 2002
  • Jürgen Wolters (Hrsg.): Leben und Leben lassen, Gießen 1995
  • Edward O. Wilson: Der Wert der Vielfalt, München 1995
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Bedeutung und Begriffserklärung



Über Bernd Kulow 168 Artikel
Als Journalist gestalte ich diese Webseite. Seit 2 Jahren bin ich freischaffender Filmemacher unter dem Namen MANGO-Film. Gearbeitet habe ich für dpa, DIE ZEIT, stern, Frankfurter Rundschau, Hörfunk und Fernsehen. Der Regenwald hat mich von klein auf fasziniert. Mehrfach war ich in Mittel- und Südamerika unterwegs. Dabei hat mich vor allem der Amazonas Dschungel beeindruckt.

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