Fantasie und Lebenslust: Südamerika als anregender Kontinent bleibt doch immer rätselhaft. GEO-Reporter durchquerten den Kontinent mit der Frage im Gepäck: Was treibt diesen widersprüchlichen, magischen Kontinent?
Die Reise durch Südamerika führte die Autoren von Ecuador bis nach Uruguay. Sie überquerten die Anden, folgten dem Amazonas durch Peru und Brasilien, erkundeten den Regenwald. Weiter reisten sie durch Bolivien, Paraguay, Argentinien und Uruguay. Ihre Reise endete an der Mündung des Silberflusses bei Montevideo. Herausgekommen ist ein großer Fotoband mit anregenden Texten.
Von „dolor y esperanza“, von Schmerz und Hoffnung haben die Reporter Christoph Kucklick und der Fotograf Christopher Pillitz erfahren, während sie die Nächte in Überlandbussen, Hängematten oder einfach auf einem Pappkarton verbrachten. Sie tanzten mit den Aymara-Indianern und betranken sich mit den Kokabauern.
Von den Anden geht´s hinab Richtung Amazonas. Dann, hinter einer Wegbiegung plötzlich ein unglaubliches Panorama: der Wald! Die Reporter sind vom Anblick des grünen Vlies, das bis zum Horizont reicht, überwältigt. Ihnen erscheint der Regenwald wie ein schwitzendes, raunendes Wesen. Über 3.000 Kilometer erstreckt sich der Amazonas-Urwald vom östlichen Andenrand bis zur Atlantikküste.
Sie stoßen auf einen Amazonas-Dampfer. „Sale hoy, sin falta“ (Abfahrt heute, garantiert) steht auf einem Schild. Sie warten vergeblich und erfahren, dass der Text nie geändert wird. Sie erleben das Getümmel zwischen den Hängematten auf dem Amazonas-Schiff. Ihnen erscheint das Schiff wie eine wunderliche Arche, irgendwo zwischen Party- und Flüchtlingsschiff.
Sensationell: Runder Regenbogen
Von Iquitos aus wollen sie zu den Matsé-Indianern. 2.500 Matsé-Indianer leben im Wald an der peruanisch-brasilianischen Grenze. Sie gelten als eigensinniges und wider ständiges Amazonas-Volk. Zu Fuß hätten die Reporter mehr als 30 Tage gebraucht. Denn Straßen gibt es nicht auf dem Weg zu dem entlegenen Indianer-Volk.
Mit einem peruanischen Armeeflugzeug fliegen sie über unversehrten Regenwald. Und dann das einmalige Erlebnis: ein kreisrunder Regenbogen. Solch ein 360-Grad-Regenbogen zeigt sich nur in Äquatornähe – auch dort ist er ein sehr seltenes Phänomen.
Die Indianer weitab im Regenwald tragen T-Shirts aus Kleiderspenden. Und der Aufdruck: 1. FC Kaiserslautern. Dadurch fühlen die beiden Deutschen sich fast wie zu Hause. Doch das Abendessen holt sie in den Dschungel zurück: gebratene Paca, eine Dackel große Waldratte. Dazu Chicha, Bier aus vergorenem Mais. Und über der Feuerstelle hängt ein Affenschädel und räuchert Tapirfleisch.
Initiation längst aufgegeben
Die Matsé haben seit den 60er Jahren Kontakt zur Zivilisation. Damals kamen protestantische US-Missionare. Die Folge war, dass heute ein Drittel des Dorfes Bibel treu ist. Die alljährliche Initiation, bei der die Jugendlichen symbolhaft in die Erwachsenenwelt aufgenommen werden, haben die Matsé längst in die Vergangenheit verbannt. Vor zwölf Jahren zogen die Indianer aus dem tiefen Urwald an den Fluss. Damit sind sie näher an der Zivilisation. Sie wollen leben wie die Weißen. Die eigene Sprache, Pfeil und Bogen und die Fisch-Zeremonie – mehr wollen sie nicht hinüber nehmen in die Moderne.
Seit acht Jahren erhalten die Matsé-Kinder zweisprachigen Unterricht. Heute studieren bereits vier der Dorfkinder in Lima: Informatik. Die Matsé sind überzeugt, sie brauchen Ökonomen und Juristen, keine Jäger. Denn sie wollen erfolgreich mit den ostasiatischen Holzkonzernen verhandeln. Die bieten viel Geld, um das Waldgebiet der Indianer ausräumen zu dürfen. Sie sind überzeugt, dass sie dem Geldregen bislang nur wegen der überlieferten Froschzeremonie widerstehen konnten.
Die Reise geht weiter nach Manaus und von dort 450 Kilometer weit den Amazonas hinab bis zur Flussinsel Parintins.
Selbstreinigung Südamerika?
Auf ihrer Reise durch Südamerika stoßen sie vor allem in Bolivien immer wieder auf den neuen Evangelikalismus. Insgesamt sind mehr als 220 evangelische Sekten in Bolivien registriert. Inoffiziell sollen es sogar doppelt so viele sein.
Die Reporter fragen sich, warum die Menschen massenweise vom Katholizismus zu den fundamentalistischen Evangelikalen überlaufen. Denn die neuen Gläubigen feiern keinen Karneval und keine Fiestas mehr. Sie kauen auch keinen Koka und meiden jeden Alkohol. Ja, überdies wollen sie auch jeder Korruption widerstehen. Beginnt hier also eine Selbstreinigung Südamerikas? Die nüchternen, disziplinierten Gläubigen könnten einen neuen ökonomischen Aufstieg bringen.
Das Buch bietet wunderschöne, doppelseitige Fotos des Amazonas sowie der Landschaften und Länder der Reiseroute durch Südamerika. Dabei ergänzen sich Texte und Fotos. Das ist der Vorteil dieses journalistischen Reisebuches. Die Menschen, von denen die Rede ist, sind auch auf den Fotos zu sehen.
Das GEO-Buch ist mit seinen 250 Seiten ein echtes Prachtexemplar, mit dem man sich lange Zeit beschäftigen kann. Die Fotos von Exotik und Fremde animieren dazu, sich auf die Texte einzulassen. In jedem Fall ein schönes Geschenk.
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